Die
vergilzung
der Welt!

Der Lichtmann und seine Liebe

 

Ein Ästhet mit Intellektuellenbrille und dem Look eines britischen Popstars. Ein Leonardo des Lichts. Ein Künstler, der unsere Sicht auf die Frauen verändern will mit seinem Blick. Roman Gilz, dessen Ziel vom ersten Tag als Fotograf an lautet: die Vergilzung der Welt. Mit der Kamera in der Hand, dem „Kopflicht“ oben drauf und der weiblichen Muse im forschen Visier.

 

„Ich arbeite mit versetztem Aufsteckblitz. Und ich blitze den Models direkt in das Gesicht. Man hat es so einfacher beim Arbeiten, die Person ist so fast immer im Licht. Man muss es lernen. Man kann es nicht erklären, warum es so gut aussieht. Licht sieht erst immer scheiße aus, doch irgendwann macht es Klick und es sieht gut aus. Man weiß, was man tut.“

 

Von Roman Gilz ins Licht gesetzt, in strahlende Schönheit, werden Frauen, Frauen, Frauen: Auf der Welt leben 3,74 Milliarden von ihnen. Die Vergilzung der Welt? Roman Gilz wird nicht ruhen, bis er zumindest alle Schönen des Nordens in Szene gesetzt hat. Des Nordens, Ostens, Südens, wie er sagt. Obwohl der Lichtkünstler selbst ein Nordlicht ist, weiß er die Offenheit der Modelle aus dem Süden und dem Osten der Republik zu schätzen. Mit ihnen sei es oft einfacher zu arbeiten.

 

„Die Süddeutschen sind ganz anders als die Ostdeutschen. Die Ostdeutschen ganz anders als die Norddeutschen. Da merkt man ein Gefälle. Der Osten ist total offen für meine ART, der Süden auch oft und der Norden ist total zugeknöpft. Hat aber einen pulsierenden Kern! Wenn man den geöffnet hat, kann das richtig pulsieren. Das so genannte Klick. Es gibt aber auch das umgekehrte Klick, dass die Modelle schon in ihrem Film sind und ich versuchen muss, sie in meinen Film zu kriegen. Ein Beispiel aus Berlin: ein Mädchen ganz aufgeregt im Studio. Sie war schon komplett gestylt. Die Make-up Frau und Stylistin haben sie dann für mich komplett entstylt und in ein Gilz-Model verwandelt.“

 

Ein Theatermacher der Stills

 

Ein Fotograf, ein Regisseur, ein Theatermacher in aller Stille – ein Künstler der Stills. Roman Gilz ist nicht irgendein, er ist der Frauenfotograf unserer Zeit. Bei ihm sind erotische Posen pathetisch, wird das Laszive lebendig. „Seinen“ Frauen verhilft er auf ihren Bildern zu formvollendeter Schönheit. Staunende Münder auf den Motiven und bei den Betrachtern davor.

 

„Die Vergilzung der Welt 2018. Die Zeit ist gekommen und es gibt kein Zurück für Niemanden. Hauptsache, die anderen merken mal, dass ich weiß, was ich tue.

 

Das wäre mal sinnvoll.“

 

Nichts fasziniert heterosexuelle Männer mehr als das schöne andere Geschlecht. Ein Magazin, das sich eindeutig der Darstellung weiblicher Schönheit widmet, verspricht seinen Käufern alles, was Männern Spaß macht. Dabei macht die Beschäftigung mit Frauen nicht unbedingt Spaß. Spaß ist das falsche Wort, mit Spaß verbindet man Leichtigkeit und Freude. Die Beschäftigung mit weiblicher Schönheit und die Fotografie von Frauen an sich bedeutet sehr harte Arbeit, keusche Kameraführung und bringt manche Männer an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Roman schon lange nicht mehr.

 

Filmreif mit Melanie Müller

 

Ein Shooting mit Erotik- und Porno-Starlet Melanie Müller. Die Blonde ist nach Hamburg gekommen, um sich von Roman Gilz an die Kette legen und scharf ablichten zu lassen. Das Fernsehen schaut zu, mit ebenfalls geschärften Linsen filmt es diesen Teil der Vergilzung der Welt. Gilz schießt aus allen Lagen und die angekettete schöne mit der entblößten Vagina und der Hundekette um den Hals sagt im schönsten Sächsisch:
„Ich muss pullern!“ (Melanie Müller)


 

 

Neben der erfrischenden Frau Müller ist noch eine bildhübsche, leicht schüchtern wirkende Arzthelferin aus Schleswig-Holstein gekommen. Sie wird vor, durch und bei Roman Gilz zu einem verführerischen Vamp.

 

Sie sagt: „Schön, dass ich in Deiner Ausstellung hängen darf.“

 

Die brennende Hose der Fotografie

 

Dieser Mann ist ein Verwandlungskünstler für das schöne Geschlecht. Er hat sich auch selbst verwandelt. Und dies ist seine Geschichte.


Hamburg in den mittleren 80ern. Der junge Gilz aus der Vorstadt macht sein Schülerpraktikum. Der Vater, ein Werber, hat viel zu tun mit Fotografen in der Stadt. Vermittelt den pubertierenden Sohn an einen von ihnen, bei Wolfgang Klein.

 

„Roman!“, sagt der, „Du kannst die Hose bügeln fürs nächste Fotomotiv.“

 

 

Der Praktikant praktiziert seinen ersten Bügelvorgang im Hinterzimmer. Bald steigt Qualm auf. „Das erste Model meines Lebens kam rein und hat sich schweigend umgezogen. Ich habe nur noch auf diese Frau gestarrt“, erinnert sich Roman 2017.

 

Er erzählt es in Hamburg-Ottensen im Café Eisenstein, benannt nach einem großen Bilderkünstler, während eines Shootings.

 

Er erzählt es mit schelmischem Humor, doch ist die Erregung und Anspannung und Initiation, die in der damaligen Situation steckte, noch heute zu spüren.

 

„Ich weiß nicht mehr, wie sie hieß. Aber sie hat den Typ meiner ersten Frauenwahl geprägt. Dunkelhaarig und lange Haare.“
In diesem Moment 1986, als diese erste Hose in Flammen steht, beginnt die Vergilzung der Welt.

 

„Ab da war klar, ich wollte Fotograf werden.

 

Ich wollte Frauen zeigen.

 

Der Sound der Fotografie

 

Das männlichste alle Instrumente fasziniert Roman fast so sehr wie die Frauen. Schon als 12-Jähriger fuhr er mit S- und U-Bahn ins damals verruchte Hamburg-Ottensen, um Unterricht bei einem Freejazzer zu nehmen. „Der Schlagzeuglehrer hieß Wolfgang und sein Umfeld hat mich sehr geprägt. Er lebte in einer WG mit Georg, der heute den ältesten Technoclub Hamburgs betreibt.“

 

„Wir saßen immer in der Küche. Sie war extrem schmutzig und unordentlich. Ich habe viel geredet mit den alten Männern um die 20 – und ich wurde nicht wie ein Kind behandelt. Das hat mich sehr bestärkt auch in der Entscheidung, Fotograf zu werden, dass sie mich vollwertig behandelt haben. Schule und Mitschüler hingegen waren Scheiße.“

 

Das Kind Roman Gilz: ein Einzelgänger, schüchtern, unsportlich, klein. Aber sehr fantasievoll. Solche Leute werden später Diktatoren oder Rockstars.

 

Roman ist Rockstar geworden, auf die stille Art.

 

„Ich bin am Todestag von Jimi Hendrix geboren.

 

Wenn es heißt, Newton malt mit der Kamera, dann kann ich auch
mit der Kamera Gitarre spielen!“

 

 

So kreischen und jaulen seine Bilder frivol auf wie ein Hendrix-Lick, wenn sich auf ihnen die Musen die Münder lecken, ins beste Licht gerückt, mit bunten Farben, Lack, Leder, mal quietschig, mal devot, mal dominant, aber immer: Gilz. Ganz klar Gilz. Ein Fotograf aus der Vorstadt Norderstedt, der ein großes Auge hat – und sich an denen abarbeitet, die das größte Lob einheimsen in der Frauenfotografie.

 

Gilz’ Anspruch ist immer der des selbst erschaffenen Gesamtkunstwerks.

 

Künstler, Model und Kamera: Bei ihm werden sie eins.

 

Der Start ins Fotografenleben am 1. September 1988:
Roman Gilz geht in die Lehre bei Eike und Klaus in der Ottenser Friedensallee.

 

Roman Gilz, Daniel Josefsohn, Eike Naumann – 1988

 

Genau gegenüber vom Café Eisenstein, in der Gilz heute, bald 30 Jahre danach, scharf schießt. Mit der Kamera genau wie gegen die selbst ernannten Götter der Frauen- und Modefotografie.
„Wie heißt der noch mal?“

 

Pizza, Autos, Shell-Kalender

 

An der Friedensallee heißt es anfangs: Kaffee kochen, beim Aufbauen helfen – und wieder bügeln. „Das hört auch nicht auf. Dabei hasse ich Bügeln. Ich bügele nie.“ Seine Lehrmeister stehen für still life. Architektur. Food. People. „So gar nicht das, was ich jetzt mache. Von denen habe ich in anderthalb Jahre viel gelernt. Ich habe viel rum gesessen und Pizza gegessen.“

 

Pizza gibt es am heutigen Tag auch im Café Eisenstein. Scharfe Pizza mit dicken, grünen Pepperoni, sanft angebraten liegen sie auf einer feurigen Salamischicht. Beim Blick auf die Friedensallee draußen im Regen von Hamburg-Ottensen erinnert sich Roman Gilz an Daniel Josefsohn, mittlerweile verstorben, von der Casting-Agentur nebenan. „Ohne ihn würde ich hier nicht sitzen. Weil ich durch ihn in der Langen Reihe gelandet bin, 91/92 bei Felix Lammers und Werner Gritzbach, Fotografen, die mich dann sehr geprägt haben.

 

 

„Da habe ich die Fotografie lieben gelernt. Endlich hat es Spaß gemacht. Wir haben gemeinsam die Fotografie studiert und entdeckt.


Technik, Licht, Blitz, Filmlicht.“

 

Auf eigene fotografische Füße kommt Roman Gilz kurz danach. Und wieder tun es ihm die Frauen an. „1991/92 hat Gritzbach viele Stern-Titel produziert. Und den Shell-Oldtimer-Kalender mit den jungen Nackedeis an den alten Autos. Das ist irgendwie hängen geblieben bei mir.“ Gritzbach fotografiert, so erinnert sich Gilz, damals meinen ersten Akt.

 

„Es war im Studio. Und ich habe gezittert. So nah war ich noch nie zuvor an einer richtig nackten Frau.“ Roman Gilz.
Er sollte die Lampe einrichten. Und guckte ihr genau da hin, wo man nicht hingucken sollte. Mit der Kamera tut er das noch heute. Seine Models und die Liebhaber seiner Kunst danken es ihm. Damals wie heute. „Das Modell kannte das schon und hat meine Nervosität gemerkt. Gesagt hat sie nichts. Sie war dunkelhaarig, lange Haare. Eine angehende Medizinerin. Das hat sie immer nebenbei gemacht während des Medizin-Studiums. Es ist aber unwichtig, was die Mädels gemacht haben.“

 

Maximus Lustikus und no nudity

 

Wichtig ist, wie er die Mädels in Szene setzt. Auf seinen unzähligen Porträts kommen Props zum Einsatz. Theatralische Elemente. Spielzeuge. Münder und Hände. Posen. Einige dieser Bilder hatte er auf sein Facebook- Profil gestellt. Dem prüden Mark Zuckerberg und seinem amerikanischen Unternehmen gefiel das nicht.

 

„Das ist nicht geil, wenn die Dein Facebook-Profil löschen, Deine 1000 Freunde, die Du Dir mühsam erarbeitet hast. Ich hab geschrien!“


 

Er nennt sich dort Roman Gilz. Ulrich Naseweis. Maximus Lustikus. Bei seiner Arbeit geht er behutsam, fast konservativ vor.

 

In Hemd und Hose.

 

„Nu nudity, diese Politik ist totale Kacke für einen Nacktfotografen. Also, nicht dass ich jetzt nackt bin. Ich mach ja nicht auf Terry Richardson. Der fotografiert nackt, der Spinner. Der nächste auf der Abschussliste, obwohl er zu meinen Vorbildern gehört.“

 

1992 hat er sein erstes eigenes Studio in Hamburg-Hammerbrook. Es gab nur Kaltwasser, 50 Quadratmeter, aber „super zum Fotografieren.“ Hier entstanden erste Meisterwerke mit Model Sonja Giese, die 1994 zum Playmate wurde. Weitere Schönheiten der Fotokunst aus dem Hause Gilz folgten. Die Vergilzung der Welt ging weiter.

 

 

„Ich habe die alle abgegriffen bei den Shell-Kalender-Shootings von Werner. Einfach gefragt, keine Pay Shootings. Und wenn überhaupt, wurde damals theoretisch der Fotograf noch bezahlt.“

 

Die Zeiten haben sich geändert. Längst seien die meisten in den Modelkarteien „durchgeshootet“ von den Hobby-Amateur-Knipsern mit Super-Equipment, die den ganzen Markt kaputt machen. Viele merken nicht den Unterschied zwischen guten und schlechten Fotos. Es gibt ja beispielsweise auch Verleger, die Buchmanuskripte mit den Worten ablehnen: >zu intelligent für unsere Leser.< Genauso raffen sie es in der Fotografie nicht.“

 

Martyrs and Sextacy

 

„Wichtig ist, dass man bei einem guten Foto immer eine gute Geschichte hat.“

 

Die Geschichte zu einem Foto überlegt er sich vorher. Oder sie entsteht beim Shooting. Gilz liebt und schafft Serien. Sein Favorit ist Martyrs and SEXTASY – London 2011

 

 

Martyrs and Sextacy, die er auf einem langen Weg durch konzipiert hat. „Es ist alles Mist gewesen. Dann bin ich spontan nach Berlin gefahren, habe ein Studio gebucht, Mädels, Sexspielzeug. An einem Nachmittag habe ich es dann geschafft, diese Geschichte aus mir raus zu arbeiten: Das Martyrium der Sexualität. Das war geplant für eine Ausstellung in London und wurde dort 2012 auch gezeigt.“ Das Martyrium der Sexualität – auch das ist die Vergilzung der Welt.

 

Rückblende. 1996 hat Roman Gilz die Assistenz endgültig aufgegeben, als Vorbild Felix Lammers aus der Langen Reihe nach Paris auszog. In dieser Zeit schlägt sich Roman Gilz durch mit erotischen Homestories für Schmuddelblätter aus dem Hamburger Bauer-Verlag. „Ich habe bei den Shootings vor Ort noch versucht, umzumodeln und stilvolle erotische Fotografie zu schaffen. Das kam beim Chefredakteur nicht gut an. Das war die Abteilung Neue Revue oder Praline.“

 

Das schöne Mädchen von nebenan – Neue Revue
Parallel macht er sich einen Namen als Werbefotograf. Vor allem Autos, ohne Menschen. Gilz bekommt die Deutschland-Kampagne von Maserati zugeschlagen – mit den Worten: „Wer so gut Frauen fotografieren kann, wird auch die Maserati hinkriegen.“ Eine Kampagne, viel Geld, ein Erfolg, der sich verpulvert. Denn die Vergilzung der Welt besteht nun mal aus Frauen und nicht aus Fahrzeugen.

 

Im Jahr 2000, nach Jobs bei Casting-Agenturen und Porno-Produktionen, steigt er mit in die Agentur seines Vaters ein und beginnt für sich den Umbruch, auch als Reflex auf einen medialen Wandel.


„Es war die Zeit der digitalen Spiegelreflexkameras. Die ganze Welt dachte, damit kann man vieles billiger, besser, schneller machen. Die Jobs wurden schlicht auch weniger.“

 

Ein Name im Extrembereich

 

Seit 2003 setzt Roman Gilz rein auf die Erotikfotografie, wendet sich voll und ganz der Vergilzung der Welt zu.. „Das liegt mir am meisten. Es gibt wahnsinnig viele Werbe- und Modefotografen. Da aufzuspringen, bringt nichts. Ich dachte mir: „Versuch, Dir im Extrembereich der Kunst einen Namen zu machen.“ Es entstand ein Riesenfundus mit allein um die 1000 Werken, die er veröffentlicht sehen möchte. Gemacht worden sind 200 000 Fotos oder mehr.

 

„Heute ist für mich gar nichts mehr extrem. Ich habe alles gesehen. Es ist immer noch verpönt. Es gibt im Freundes-, Bekannten- und
Kundenkreis Leute, die würden tot umfallen. Viele nehmen das nicht ernst. Der mit seinen Nackten und so. Viele sehen nicht, dass das Arbeit ist. Konzentration. Nachdenken.“

 

Der Mann, der Bügelhosen entflammte und vor einer nackten Frau zitterte, ist ein Vollprofi in der Artfotografie geworden.
„Jetzt rührt sich nichts mehr. Das hat nichts mit Abgebrühtheit oder ,Verrohtheit zu tun. Ich will ein gutes Ergebnis haben. Daran sollen
sich andere freuen. Einmal das Modell. Und die Betrachter des Bildes. Das ist für mich sehr wichtig!“

 

Die Handschrift des Fotografen, der Look der Vergilzung der Welt? „Farben. Farben spielen immer eine große Rolle. Auch, wenn die Farbskala variiert: Man erkennt, dass es ein Gilz ist. Mal bunt, mal monochrom. Mal Portrait, mal Vollakt.“
Seine Werke spiegeln auch die Jahrzehnte, die er wie Akte in einem ästhetischen Theaterstück sieht.

 

„Die Zeit erkenne ich an den Outfits und an den Typen von Frauen. Früher gab es keine Frau, die Akt macht und tätowiert ist. Heute findest Du keine mehr, die nicht tätowiert ist. Anders herum ist es bei der Intimbehaarung.“

 

Die Gefahr, beim Betrachten seiner Bilder in poetische Raserei zu verfallen und der ewigen Schönheit des weiblichen Körpers zu huldigen, ist groß.

 

Und gewollt.


Das wäre nichts Geringeres als der nächste evolutionäre Schritt bei der Vergilzung der Welt. Ein Triumph von Erotik, Fotokunst und Schönheit durch die Augen eines Mannes, der die weiblichen Verlockungen sieht und zeigt. Wild und frei, aber von großer Kunstfertigkeit, wie einst Jimi Hendrix seine Gitarre spielte.

 

1988 - 1996